Erfahrungsbericht: Stiller Reflux seit der Kindheit
Wie gehen Patienten mit ihren Stiller Reflux Symptomen um? Wie kamen Sie zur Diagnose und welche Behandlungen haben sie probiert? Ich habe meine Leser gebeten, mir Emails mit ihren persönlichen Erfahrungen zu schicken. Hier ist eine der Emails:
Susanne W.*
Ich bin jetzt 73 Jahre alt, und es ist schwer zu sagen, wann das ständige Husten eingesetzt hat. Ich erinnere mich, es war 2007, da hätte ich bei einem Gottesdienst einen Text vortragen sollen. Ich habe abgelehnt, weil ich zu diesem Zeitpunkt schon keine drei Minuten mehr ohne Hustenanfall sprechen konnte, der so heftig war und so lange dauerte, dass es einem Auditorium nicht mehr zuzumuten war.
Allerdings hatte ich zeitlebens ein Hustenproblem. Als junges Mädchen ist es mir mitunter passiert, dass ganz plötzlich die Kehle so gereizt war, dass ich Tränen hustete. Es trat aber so selten auf, dass ich keinen Anlass sah, deswegen einen Arzt zu konsultieren.
Eine Husteninfektion im Zusammenhang mit Schnupfen oder Grippe zog sich bei mir immer sehr lange hin. Ich musste öfter Antibiotika nehmen, um den Husten zu beenden. Aber dann war er auch weg.
Im Alter von 33 Jahren wurde der Husten chronisch. Drei Jahre lang probierte der Arzt alles Mögliche. Die Diagnose lautete nun „Asthma“. Ich begab mich zur Kur nach Bad Reichenhall.
Danach hatte ich Ruhe – einmal davon abgesehen, dass es immer wieder vorkam, dass ich Antibiotika schlucken musste, um eine Husteninfektion loszuwerden.
Ich bewahrte seither immer irgendein Cortison-Inhalationsspray in einer Schublade auf. Ich nahm es ab und an, aber sehr selten. In der Regel kam ich ohne aus. Reflux war nie im Gespräch, weil ich niemals Sodbrennen hatte.
Ich vermute, dass die Hustenbeschwerden sich verschlimmerten, als ich Ende der Neunziger Jahre drastisch an Gewicht zulegte. Wenn man sich vorstellt, dass dem Magen im Bauch ja nur ein bestimmter Platz zur Verfügung steht und Fett ihn nach oben drückt, dann kann man sich auch vorstellen, dass sich der Mageneingang aufdrückt. Aber das ist eine Laienvermutung aus heutiger Perspektive.
Jedenfalls bekam ich ungefähr ab 2000 von den Ärzten – egal, ob Internist oder Lungenarzt – Inhalationssprays mit Cortison und bronchienerweiternden Mitteln. Ich setzte sie immer wieder ab und sagte den Ärzten, dass es keinen Unterschied macht, ob ich sie nehme oder nicht. Egal, sie verschrieben sie trotzdem.
Nach einer Magenspiegelung 2008 sagte mir der Arzt, dass der Mageneingang erweitert sei, und das sollte ich operieren lassen, weil es sonst zu Speiseröhrenkrebs kommen könnte. Na schön, dachte ich, tue ich ihm den Gefallen, und ließ mich operieren.
Wenig später konsultierte ich wieder einen Lungenarzt. Er sagte sofort, das wäre ein stiller Reflux. Ich hielt dagegen, dass ich ja gerade operiert worden sei, woraufhin er grinste und sagte: „Operation misslungen.“ (Damit hatte er Recht, wie ich viele Jahre später nach einer weiteren Magenspiegelung erfuhr.) Er wollte eine Bronchoskopie durchführen, aber ich ging nicht hin. Der Arzt war mir unsympathisch, er machte sich einen Spaß daraus, seine Arzthelferinnen unentwegt vor den Patienten bloßzustellen. Ich kann das nicht leiden.
Sodbrennen hatte ich nie, leichte Magenprobleme immer. Darum begannen die Ärzte, mir Pantoprazol zu verschreiben, später Omeprazol. Ich nahm es jahrelang.
Da ich ab 2010 meine Mutter pflegte, hatte ich keine Zeit, mich um den Husten zu kümmern, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre. Ich nahm einfach das Cortisonspray, ich weiß im Moment nicht, wie das hieß. 2015 wachte ich eines Morgens auf und sah alles doppelt. Ob es eine Nebenwirkung von Pantoprazol war, oder ob ein Vitamin-B-Mangel vorgelegen hat, weiß ich nicht. Die Ärzte schwören, von P. kommt es nicht. Ich setzte es trotzdem ab, auch darum, weil ich Arthrose habe und nichts brauchen kann, was die Knochen beeinträchtigen könnte.
Meine Mutter starb im Mai 2016, und im Oktober 2016 ging es mir mit dem Husten so schlecht, dass die Stimme völlig weg war und der Rachen verpilzt. (Nein, ich habe nicht geschlampt, mir nach jeder Cortison-Inhalation den Mund auszuspülen, die Zähne zu putzen und zu gurgeln.) Mit völlig weg meine ich, dass ich keine Chance hatte, mich verständlich zu machen. Ich steckte mir Zettelchen mit den wichtigsten Ansagen ein, die ich bei Bedarf vorzeigte und fuhr nach Westerland, um meinen Husten zu kurieren. Dort erklärte mir ein Physiotherapeut, es sei kein Wunder, dass meine Stimme weg wäre, gerade dies Cortisonspray, das ich nehme, würde die Stimme zerstören. Die Stimme war monatelang völlig weg.
Heiserkeit wird bei dem Zeug sogar auf dem Beipackzettel angegeben. Dennoch haben bisher alle Ärzte, die ich sprach, bestritten, dass Heiserkeit und der Verlust meiner Stimme durch dies Medikament ausgelöst werden würden. Wie auch immer, ich habe den Scheiß nie mehr angerührt. Heute kann ich mich wieder verständigen, aber es ist nicht mehr meine Stimme.
Im Frühjahr 2017 konsultierte ich wieder einen Lungenfacharzt. Auch er vermutete stillen Reflux, als ich aber sagte, ich hätte niemals Sodbrennen, ließ er diese Vermutung fallen. Er führte eine Bronchoskopie durch und fand ein weißes Sekret in den Bronchien, „Herkunft unbekannt“. Heute nehme ich an, dass es „verdautes“ Bronchiengewebe ist. Er diagnostizierte eine chronisch atrophe Bronchitis. Ich erhielt eine Reha in Bad Reichenhall. Das war ganz nett, aber den Husten beeindruckte das wenig.
Ein HNO erklärte mir, die Lungenärzte würden oft sagen, dass sie gegen eine chronische Bronchitis nichts tun könnten, aber das sei Unsinn. Und zwar würde die auch durch vereiterte Nebenhöhlen ausgelöst werden. Er veranlasste Röntgen und MRT der Nebenhöhlen, aber er sagte, so schlimm sei es nicht bei mir, das müsse er nicht operieren.
Im Oktober 2018 konsultierte ich einen anderen HNO, der mir von allen Seiten wärmstens empfohlen worden war. Er sagte sofort, das ist stiller Reflux. Als ich es nicht glauben wollte, weil ich ja nie Sodbrennen habe, zeigte er mir das Bild vom Inneren meines Kehlkopfes auf dem Monitor und sagte: „Was da glänzt, ist Magensäure.“ Er verschrieb Gaviscon duo und Talidat. Ich nahm es etwa eine Woche lang, dann hatte ich solche Bauchschmerzen, dass ich es absetzen musste. Ich erzählte das dem Arzt, er hustete und sagte: „Sehen Sie, ich habe ein Stück Schokolade gegessen“. Seither weiß ich, dass kontrollierte Ernährung vermutlich das Einzige ist, was das Fortschreiten der Katastrophe verzögern kann.
Dazu ist zu sagen, dass vor etwa zehn Jahren – oder länger? – eine Divertikulose diagnostiziert wurde. Es war ungefähr 2009, als ich mich bereits in der Klinik befand, wo am nächsten Tag ein halber Meter Darm rausgeschnitten werden sollte. In der Nacht aus der Klinik abzuhauen, war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Im Jahr darauf sagte mir ein anderer Arzt nach einer Darmspiegelung, ich sollte bloß nicht auf die bescheuerte Idee verfallen, mich operieren zu lassen, das hilft mir gar nichts, der ganze Darm ist kaputt.
Kürzlich konsultierte ich einen Orthopäden wegen meiner Arthrose – ich trage bereits drei künstliche Gelenke (2 x Knie, 1 x Schulter). Der wiederum erklärte mir, es gäbe einen Zusammenhang zwischen all diesen Beschwerden, nämlich eine Schwäche des Gewebes im ganzen Körper. Das war einleuchtend. Wenn eine solche Gewebeschwäche besteht, kann auch eine OP des Mageneingangs nichts helfen. Er begann mit Infusionen, die u.a. Cortison enthielten. Schlagartig war der Husten damit viel besser. Dennoch lehne ich weitere Cortisoninfusionen erst einmal ab, weil ich damit gar nicht schlafen konnte, außerdem habe ich um 2 Uhr nachts den Kühlschrank geplündert – und das, obwohl ich diszipliniert Intervallfasten betreibe. Ich kann nichts brauchen, was das Übergewicht verschlimmert, vor allem in Hinblick auf den Husten.
Meine Empfehlungen? Aktuell bemühe ich mich, auf die Ernährung zu achten; das heißt vor allem: Kein Kaffee, keine Schokolade. Aber auch sonst nichts Süßes. Vorsicht bei Zwiebeln und Knoblauch, besser nicht, sehr Scharfes auch nicht; und so weiter. Eine Apothekerin hat mir Bitterstoffkapseln gegeben. Ich bilde mir ein, dass die gut sind. Wenn es mir mit dem Husten schlecht geht, nehme ich abends ein Löffelchen Gaviscon Advance (nicht duo). Das darf ich aber höchstens drei Mal hintereinander machen, weil sonst die Bauchschmerzen wieder losgehen. Entsprechendes gilt für Bianacid, das gut zu sein scheint. Beim Hustenanfall trinken, möglichst heißen Malventee, aber vor allem nichts Eisgekühltes. Eis essen gehen ist auch tabu. Gurgeln mit Salviathymol.
Na ja, wenn ich alte Freunde googele, sehe ich immer öfter Todesanzeigen. Also will ich nicht jammern und mich freuen, dass es noch so gut geht.
* Name von der Redaktion geändert