Interview: Prof. Peter Dettmar – die Rolle von Pepsin bei Reflux (Teil 1 )

Letzte Aktualisierung:
5. April 2023

Pepsin und LPR

Anmerkung: beim folgenden Text handelt es sich um eine Übersetzung eines englischen Interviews. Das Original findest du hier in der englischen Version von Refluxgate. Wir nutzen im Interview den Begriff LPR (laryngopharyngealer Reflux), was der medizinische Begriff für Stillen Reflux ist.

Pepsin.

Ein häufiger aufkommender Begriff, wenn man über LPR (laryngopharyngealer Reflux) liest.

Zumindest wenn man die in letzter Zeit publizierten Informationen liest.

Bereits seit Jahrzehnten ist Säure als wichtiger Faktor für den Reflux bekannt. Aber dass auch Pepsin eine entscheidende Rolle spielt – das ist eine Tatsache, die sich erst unlängst unter den Ärzten verbreitet hat.

Professor Peter Dettmar war einer der ersten, der seine Forschung auf Pepsin und LPR fokussiert hat. Ich freue mich sehr, dass er Zeit für ein Interview hier auf Refluxgate gefunden hat.

Hier ist der erste Teil des Interviews:

Teil #1 – Pepsin

Hallo Dr. Dettmar, danke, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben. Um meinen Lesern ein besseres Bild davon zu geben, womit Sie sich beschäftigen: Wie sind Sie darauf gekommen, über LPR zu recherchieren?

Ich bin Experte für Arzneimittelentwicklung in der Pharmaindustrie und interessiere mich speziell für den Magen-Darm-Trakt.

In den 80er Jahren habe ich mit der Entwicklung von Produkten gegen Ösophagitis und Symptome von Sodbrennen und Regurgitation begonnen. Eines der ersten Produkte, mit denen ich meine Entwicklungsarbeiten anfing, war die britische Version von Gaviscon.

Während dieser Arbeit habe ich erkannt, dass Reflux nicht nur in der Speiseröhre Symptome verursacht.

Mir wurde klar, dass Reflux sogar bis zu den Atemwegen gelangen und diese beschädigen konnte. Deswegen habe ich mich daraufhin tiefergehend den Schäden gewidmet, die Reflux den Atemwegen zufügen kann.

In den 90er Jahren habe ich einige Forscher in den USA kontaktiert, unter anderem Jamie Koufman, deren Name ziemlich häufig auftauchen wird, wenn Sie Behandlungen für LPR recherchieren. Wir begannen mit der Zusammenarbeit zur Erforschung von Reflux, ganz speziell von LPR.

Wohin hat Ihre Untersuchung Sie geführt?

Als wir anfingen, hielt jeder Reflux für eine Flüssigkeit.

Allerdings haben wir im Laufe der Zeit erkannt, dass der Reflux, der bis zu den Atemwegen vordrang, zumeist als Aerosol oder gasförmiger Reflux auftrat.

LPR besteht normalerweise aus extrem feinen Partikeln. Man könnte es als Nebel, oder gasförmig bezeichnen.

Das erklärte auch, warum es zu Symptomen in Bereichen führen kann, die weit vom Magen entfernt sind: Kehlkopf, Rachen, Lunge, Ohren und so weiter.

Der Umstand, dass der Reflux ein feiner Dunst sein kann bedeutet, dass er viel höher aufsteigen und an Stellen gelangen kann, die Flüssigkeiten nicht erreichen würden.

Wie haben Sie die Rolle von Pepsin bei Reflux-Erkrankungen entdeckt?

Die meisten Leute hielten Magensäure für die Ursache der Probleme. Die Forschung hat dagegen herausgefunden, dass dem nicht so war.

Es ist uns mittels einiger Studien gelungen, Pepsin im Kehlkopf- und Halsbereich von Menschen mit LPR nachzuweisen. Andererseits befand sich in der Kontrollgruppe ohne LPR kein Pepsin.

Damit war offensichtlich, dass zwischen Pepsin und LPR eine Art Korrelation bestehen muss.

Dr. Koufman und ich begannen zu untersuchen, was genau die Rolle von Pepsin bei Reflux ist.

Welche Rolle spielt Pepsin bei Reflux?

Es erwies sich als ganz deutlich, dass Säure tatsächlich nur im Zusammenspiel mit Pepsin Schäden verursacht.

Säure allein ist kein Problem. Aber Pepsin und Säure in Kombination führen zu Schäden.

Wie führt Pepsin bei Reflux zu Schäden?

Pepsin ist ein aggressiver Wirkstoff.

Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass es Entzündungen im Gewebe verursacht.

Wir haben gesehen, dass es Zelloberflächen beschädigt.

Unserer Meinung nach dringt das Pepsin außerdem in das Innere der Zelle ein. Der medizinische Begriff dafür lautet Endozytose. Die Zelle absorbiert das Pepsin; so beschädigt es den Zellkern und die Mitochondrien von innen. Es veranlasst die Zelle dazu, sich selbst zu töten, sich selbst zu mutieren.

Pepsin kann also Oberflächen zersetzen, aber auch Schäden in den Zellen selbst bewirken und den Zellkern zerstören. Als Folge davon funktioniert die Zelle nicht mehr.

Etliche meiner Leser sind deswegen völlig aus dem Häuschen. Ich erhalte viele E-Mails mit der Frage, wie lange Pepsin faktisch in den Zellen verbleibt und möglicherweise Schaden anrichten kann.

Es hört sich recht dramatisch an, wenn man bedenkt, dass da etwas in der Zelle ist, um irgendwie reaktiviert zu werden.

Aber jedes Mal, wenn Sie essen, trinken oder reden, scheuern Sie Ihre Zellen ab. In den Atemwegen gehen eine Menge Bewegung und körperlicher Stress vonstatten. Daher werden die Zellen sehr häufig ausgetauscht. Es ist demnach nicht so, dass ein Pepsin-Rückfluss stattfindet und sich Pepsin dann monatelang festsetzt.

Aber es kann für zumindest 24 oder sogar 48 Stunden in und auf den Zellen verbleiben. Es könnte sogar länger andauern. Es ist schwer, eine präzise Dauer anzugeben – mit den bisher vorliegenden Forschungsdaten.

Wie tief kann Pepsin die Atemwegszellen penetrieren?

Wir haben dazu eine Elektronenmikroskopie durchgeführt.

Es scheint, als könnte es mehrere Zellen tief eindringen. Pepsin setzt sich also nicht nur in den Zellen an der Spitze des Epithels ab.

Denken Sie daran: Zellen sind sehr klein, die Distanz ist also nicht so groß.

Übrigens habe ich mit einigen Therapeuten in Deutschland die Frage besprochen, ob eine schlechte Körperhaltung auch zu einer Fehlfunktion der Speiseröhrensphinkter führen kann. Können Sie mir auch darüber etwas sagen? Könnte bei manchen Menschen schlechte Körperhaltung ursächlich für den Reflux sein?

Das ist etwas, was man im Auge behalten sollte.

Es besteht die Möglichkeit, dass eine gebeugte Haltung vor einem Computer an einem Schreibtisch einen Rückfluss verursachen kann.

Auch Menschen, die viel Sport treiben und sich beugen, üben zusätzlichen Druck auf die beiden Ösophagus-Schließmuskeln aus. Das erhöht das Risiko für Reflux.

Eine weitere Personengruppe mit hoher Reflux-Anfälligkeit sind vor allem Sportler, insbesondere Läufer. Genau wie jeder, der oft im Fitness-Studio Gewichte stemmt. Etliche Marathonläufer sind Refluxer. Ihre Körpermaße sind perfekt, sie sind nicht übergewichtig, sie haben kein überschüssiges Fett, aber sie bekommen Reflux aufgrund des Drucks, den sie auf ihre Schließmuskeln ausüben.

Und Übergewicht ist natürlich ein sehr großer Einflussfaktor, der die Reflux-Wahrscheinlichkeit erhöht.

Ende von Teil #1 des Interviews

Das Interview mit Professor Peter Dettmar war voller nützlicher Informationen. Um die Informationen leichter zu verarbeiten, habe ich es in 4 Teile aufgeteilt.

Wenn du mit dem Interview fortfahren willst: hier ist Teil #2 über die Symptome von LPR.

Ferner habe ich ein ausführliches mündliches Interview mit Professor Peter Dettmar über Pepsin aufgenommen (mit deutschen Untertiteln). Du findest es in meinem Online-Kurs dem Stiller Reflux Protokoll.

Über den Autor

Gerrit Sonnabend

Gerrits Sonnabends beruflicher Hintergrund ist in der qualitativen Forschung und Data-Science. Er hatte selbst starken Reflux. Hier kannst du mehr zu Gerrit erfahren.