Experteninterview zu den Ursachen von Sodbrennen

Letzte Aktualisierung:
4. April 2023

Interview Mark Noar

Anmerkung: beim folgenden Text handelt es sich um eine Übersetzung eines englischen Interviews mit Dr. Mark Noar, einem innovativ arbeitenden amerikanischen Gastroenterologen. Das Original findest du hier in der englischen Version von Refluxgate.

Dies ist der vierte und letzte Teil meiner Interview-Reihe mit Dr. Mark Noar über den Zusammenhang zwischen Magenmotilität, Reflux und die Ursachen von Sodbrennen.

In den vorangegangenen Teilen haben wir einige grundlegende Themen diskutiert: Magenmotilität, Gastroparese und Pylorus.

Wir werden jetzt besprechen, wie all diese Faktoren ein vollständiges Bild vom Reflux eines Patienten abzeichnen und wie man diese Informationen nutzen kann, um ihn effektiv zu behandeln.

Beginn des Interviews mit Dr. Noar:

Was ist falsch am aktuellen Umgang der meisten Ärzte mit dem Thema Reflux?

Die akademische Gemeinschaft neigt dazu, sich ausschließlich auf die Speiseröhre zu konzentrieren, wenn sie über Reflux und Ursachen von Sodbrennen spricht.

Tatsächlich jedoch ist Reflux eine Komplikation aufgrund einer  Beeinträchtigung der Magenmotilität.

Üblicherweise dauert es 10 bis 20 Jahre, bis ein neues Konzept in der medizinischen Fachwelt Beachtung findet. Jetzt endlich öffnen sie sich langsam für die Tatsache, dass die Magenmotilität einen starken Einfluss auf Refluxerkrankungen hat.

Können Sie mir einen Beispiel-Patienten mit Reflux beschreiben, den Sie behandelt haben, um mir ein Verständnis davon zu geben, wie Ihr Behandlungsprozess aussieht?

Ich gebe Ihnen ein perfektes Beispiel, mit dem ich heute Morgen zu tun hatte.

Ein Patient kontaktierte mich, nachdem bei ihm eine Reflux-Operation durchgeführt worden war. Sein Reflux wurde besser, aber jetzt litt er an schrecklichen Gastroparese-Symptomen, was bedeutet, dass sich sein Magen zu langsam entleert.

Dieser Patient ist vor der Prozedur nie fachgerecht untersucht worden.

Er hatte schon vor der Operation Gastroparese. Die Symptome der Gastroparese waren jedoch weniger ausgeprägt. Der untere Ösophagussphinkter war defekt, so dass der Druck im Magen in die Speiseröhre entweichen konnte. Demzufolge war Reflux das Hauptsymptom des Patienten.

Die Operation verriegelte den unteren Ösophagussphinkter, so dass kein Druck abgegeben werden konnte. Der Magen ist allerdings noch immer blockiert, wodurch die Gastroparese verstärkt wird und jetzt stärkere Symptome zeigt.

All dies wäre vermeidbar, wenn wir über den Reflux hinaus sämtliche Einflussfaktoren für Magenmotilität in Betracht ziehen würden.

Ich bekomme viele E-Mails von Lesern. Was mir als interessant auffällt ist, dass die meisten von ihrem Arzt nur eine Basisuntersuchung bekommen. Wenn überhaupt, werden fast immer nur Gastroskopie, Manometrie pH-Test gemacht. Sogar bei anhaltenden Symptome können die meisten keinen Arzt finden, der zusätzliche Tests durchführt, um die Ursachen für ihren Reflux finden zu können. Wie vielen Menschen könnten es besser gehen, wenn Ärzte z.B. Magenmotilität und Gastroparese durch weitere Tests öfter untersuchen würden?

Werfen wir einen Blick auf die Statistiken. Ich denke, Sie wären schockiert zu hören, dass 40 bis 45% der Patienten bereits eine Gastroparese haben, wenn bei ihnen eine Refluxerkrankung diagnostiziert wird. Allerdings werden die meisten nicht mit Gastroparese diagnostiziert, sondern nur mit Reflux.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich GERD-Patienten einer Anti-Reflux-Operation wie dem Stretta-Verfahren, oder einer Nissen Fundoplikatio unterziehen. Ist allerdings die Magenmotilität abnormal und nicht in Behandlung, dann wird das Reflux-Verfahren letztendlich scheitern.

Sie wollen sagen, die Reflux-Symptome, beispielsweise Sodbrennen, werden zurückkehren, wenn das Problem der Magenmotilität nicht behandelt wird?

Ganz genau.

Nach zehn Jahren sind 65% der Nissen-Patienten symptomatisch und nehmen wieder Medikamente ein. Dabei ist nicht unbedingt ein fehlgeschlagenes Nissen-Verfahren ursächlich. Häufig liegt es daran, dass die Magenmotilität nie angegangen wurde.

Ich sehe des öfteren Patienten, die eine Stretta-Prozedur hatten. Sie können sich trotz des erst 1 Jahr zurückliegenden Eingriffs doch schon wieder schlechter fühlen, mit zurückkehrendem Reflux, oder anderen Symptomen.

Ich finde oft heraus, dass die Motilität das treibende Problem war. Löse ich das Problem der Motilität, ist ihr Reflux wieder korrigiert.

Wichtig ist herauszufinden, was den Reflux verursacht, anstatt sich auf die Symptome zu versteifen.

Haben Sie noch mehr Beispiele für typische Refluxpatienten?

Nehmen wir ein paar Beispiele aus der Praxis. Jemand mit Refluxsymptomen sucht mich auf.

Sie waren schon bei einem anderen Arzt und dieser führte die üblichen Reflux-Tests durch. Laut pH-Test hat der Patient Reflux. Der Patient hat gemäß Speiseröhrenmotilitätstest eine eher normal niedrige Spannung des unteren Ösophagus-Sphinkters.

Für diesen Patienten wird nichts getan, da der Sphinkterdruck normal ist, basierend auf den Statistiken, die „normal“ definieren.

Warum hat dieser Patient trotz seines normalen Sphinkterdrucks einen Reflux? Die Antwort lautet, dass der Druck des UÖS (unterer Ösophagussphinkter, Anm. d. Red) einfach nicht “normal” genug ist. Als „normal“ wird einfach die Sphinkterspannung von Menschen definiert, die keine Refluxsymptome haben.

Entscheidend ist jedoch der Sphinkterdruck im Vergleich zum Druck innerhalb des Magens einer Person.

Liegt der UÖS-Druck im normalen Bereich von etwa 35 bei einem Magendruck von nur 20, dann wird diese Person keinen Rückfluss haben.

Steht Ihr UÖS-Druck mit 35 jedoch einem Magen-Druck von 40 gegenüber, werden Sie immer Reflux bekommen, obwohl Sie einen “normalen” UÖS-Druck haben.

Der UÖS-Druck des Patienten mag “normal” sein, aber das ist nicht normal genug für die individuelle Physiologie dieser Person. Wir müssen alles im Zusammenhang betrachten, nicht jeden Wert einzeln.

Können Sie exemplarisch noch einen Patienten beschreiben, den Sie behandelt haben?

Hier ist ein weiteres Beispiel für einen Patienten, bei dem Reflux diagnostiziert wurde. Auch dieser Patient hat “normalen” UÖS-Druck.

In diesem Fall zeigt allerdings der Magenentleerungstest des Patienten eine Gastroparese und sein Elektrogastrogramm zeigt pylorische Dysfunktion.

Erkennen wir bei abnormaler Magenmotilität als Ursache eine pylorische Fehlfunktion, beheben wir den Pylorus und der Reflux verschwindet. Warum? Es war der pylorische Sphinkter, der den Magendruck erhöhte und dann die UÖS beeinträchtigte.

Da müssen wir alle hinkommen, um die Krankheit wirklich zu verstehen. Wir sollten damit aufhören, uns das Fazit, die Symptome, anzusehen und versuchen, sie zu beheben. Stattdessen müssen wir die Refluxursachen untersuchen und behandeln, so dass dann gegebenenfalls die Symptome von selbst verschwinden können.

Wir haben viele Verfahren zur Behebung der Sodbrennen-Ursachen besprochen. Wie vielen Patienten würde es allein durch eine optimierte Kost besser gehen?

Bevor Sie einen Eingriff anstreben, tun Sie alles Ihnen erdenklich Mögliche, um Ihre Symptome zu kontrollieren und so Ihren Reflux zu begrenzen.

Ich selber habe Reflux. Meine Krankheit ist LPR – Stiller Reflux. Ich habe keine Speiseröhrensymptome wie Sodbrennen. Ich habe Atemwegsbeschwerden.

Nachdem ich 50 Pfund abgenommen hatte, hat sich mein Stiller Reflux um 90% verbessert.

Damit stellt sich die Frage, warum mein Gewichtsverlust diese Wirkung gehabt hat? Das liegt daran, dass ich durch die Verkleinerung meines Bauches den Druck auf meinen Magen gesenkt habe, und jetzt wird der normale Druck meines unteren Ösophagus-Sphinkters nicht (mehr) durch erhöhten Druck innerhalb des Magens beeinträchtigt, der aus Fettleibigkeit oder Übergewicht resultiert.

Bedenken Sie, ich habe Stillen Reflux, das ist zuallererst eine Krankheit wegen Pepsin, einem Magen-Enzym. Pepsin kommt immer wieder über Reflux in die Atemwege; ich kann nichts dagegen tun, außer ich unterziehe mich einer Behandlung. Wenn ich aber auf säurehaltige Lebensmittel verzichte, dann reaktiviere ich das Pepsin nicht und habe keine Symptome.

Der letzte Punkt ist, dass Sie, wenn Sie einen chronischen Reflux haben und natürliche Methoden zur Kontrolle Ihrer Symptome wählen, sich regelmäßig untersuchen lassen müssen. Sagen wir alle fünf Jahre, um sicherzustellen, dass Sie keinen Krebs entwickeln. Alle fünf Jahre habe ich eine Endoskopie, ob ich will oder nicht.

Was ist mit den Diagnoseverfahren, um die Ursachen von Reflux zu finden? Wer sollte sie wann durchführen?

Der einzige Grund für die Durchführung all dieser Tests ist, falls Sie planen, das Problem dauerhaft zu beheben.

Falls Sie damit glücklich sind, sich einfach besser zu fühlen und Ihnen egal ist, ob Sie eine Pille nehmen müssen, dann müssen Sie keine detaillierten diagnostischen Tests durchführen. Sie brauchen gegen das Sodbrennen nur eine Pille einnehmen.

Zudem gibt es viele Menschen mit leichtem Reflux, die einfach ihre Ernährung kontrollieren und ihnen geht es wunderbar. Daran ist nichts auszusetzen.

Das ist sogar das erste, was Sie tun sollten, bevor Sie zum Arzt gehen. Versuchen, es selbst in den Griff zu bekommen. Ändern Sie Ihre Ernährungsgewohnheiten. Nehmen Sie etwas ab. Nehmen Sie vier Stunden vor dem Zubettgehen keine Nahrung mehr zu sich. Vermeiden Sie refluxauslösende Lebensmittel.

Lernen Sie die Unterschiede zwischen Speiseröhrenreflux und Stillem Reflux, so dass Sie sicherstellen können, dass das, was Sie in Bezug auf die Vermeidung tun, einen Unterschied macht.

Wenn Sie das Problem jedoch permanent beheben möchten, müssen Sie die Tests durchführen lassen, um Ihre Krankheit vollständig zu verstehen. Nur auf diese Weise können sie die Ursachen des Reflux finden, welche behandelt werden muss.

Okay. Lassen Sie mich zusammenfassen, welche Tests es gibt. Die meisten Gastroenterologen führen Gastroskopie, Manometrie und pH-Messung durch. Dann gibt es die Tests für Magenmotilität und Gastroparese, die wir in unseren anderen Interviews besprochen haben: die Elektrogastrographie, kurz EGG, und den Magenentleerungsscan. Das sind alle Tests, richtig, oder habe ich welche vergessen?

Das wäre die vollständige Reihe an möglichen Tests.

Hätten wir eine wirklich einfache Methode zur Messung des Magendrucks, die die Menschen vertragen würden, dann würde ich sagen, dass dies der einzige Test sein könnte, den wir durchführen müssten. Dafür gibt es jedoch leider keinen guten Test.

Letzte Frage. Das EGG, wo kann ich diesen Test machen? Ich habe es in Ihrer Praxis erledigen lassen. Scheinbar bieten aber nicht viele Ärzte den Test an oder haben überhaupt schon davon gehört.

Es gibt eine Reihe von Zentren auf der ganzen Welt.

Es sind noch nicht viele, aber ihre Anzahl wächst. Sie wird weiter anwachsen, so wie die Wertschätzung der Notwendigkeit, die Magenmotilität zu verstehen.

Ende des Interviewabschnitts.

Wenn Du Dich über die ersten anderen Teile des Interviews informieren möchtest, findest Du hier die Links zu den vorherigen Interviewthemen MagenmotilitätGastropareseMagenaustrittsverstopfung. Der folgende und letzte Teil ist zur effizienten Kommunikation zwischen Arzt und Patient.

Über den Autor

Gerrit Sonnabend

Gerrits Sonnabends beruflicher Hintergrund ist in der qualitativen Forschung und Data-Science. Er hatte selbst starken Reflux. Hier kannst du mehr zu Gerrit erfahren.