Pepsin: Wir verdauen uns selbst

Letzte Aktualisierung:
8. April 2023

Pepsin bei Stillem Reflux

Die meisten Menschen denken beim Begriff Reflux an Sodbrennen, welches durch sauren Reflux in der Speiseröhre entsteht.

Reflux kann jedoch auch in Form eines Aerosols auftreten: Einem feinen, praktisch gasförmigen Nebel, der bis in den Rachen und die Atemwege aufsteigt. In diesem Fall spricht man von Stillem Reflux. Manchmal werden auch die Synonyme Atemwegsreflux, oder Laryngopharyngealer Reflux (LPR) verwendet.

Stiller Reflux ist in der Regel sauer, genau wie klassischer Speiseröhrenreflux, der zu Sodbrennen führt. Es gibt jedoch auch Fälle von nichtsaurem Stillem Reflux.

Allerdings stellt Säure nicht das Hauptproblem bei Stillem Reflux dar. Säure kann zwar die Atemwege reizen, das stimmt. Da es sich jedoch bei den meisten Patienten nur um winzige Mengen an Reflux handelt, welcher bis in die Atemwege aufsteigt, ist die Säure für sich allein erst einmal kein Problem. Schließlich konsumieren die meisten Menschen auch mit der Nahrung ständig Säuren in weit größerer Menge und Konzentration wie in Früchten, Säften oder andere sauren Speisen, ohne dass dies zu Beschwerden führt.

Das Hauptproblem bei Stillem Reflux stellt das Magenenzym Pepsin dar. Es wird durch den Stillen Reflux in die Atemwege transportiert und kann selbst in kleinsten Mengen Beschwerden verursachen.

Wie Pepsin die Schleimhäute schädigt

Pepsin ist ein Enzym aus dem Magen, das für den Verdauungsprozess unerlässlich ist. Pepsin ist darauf spezialisiert, Proteine abzubauen.1

Solange Pepsin im Magen bleibt und dort Proteine in der Nahrung verdaut, ist alles in Ordnung.

Bei Stillem Reflux gelangt Pepsin mit dem gasförmigen Reflux jedoch in den Rachen und die Atemwege. Während die Speiseröhre noch relativ gut gegen Pepsin geschützt ist, sind die Atemwege dem Magenenzym schutzlos ausgeliefert.

In Hals und Atemwegen geht Pepsin weiter seiner Aufgabe nach und zerlegt Proteine. Diesmal sind es jedoch die Proteine unserer eigenen Zellen. Diese Zellen werden hierdurch geschädigt. Das Resultat sind Entzündungen, welche die Basis für die typischen Stiller Reflux Symptome wie Heiserkeit, Husten und Asthma sind.

pH-abhängige (= säureabhängige) Aktivität von Pepsin

Da sich Pepsin normalerweise im Magen befindet, ist es bei einem niedrigen (sauren) pH-Wert aktiv.

Je aktiver Pepsin ist, desto aggressiver und schneller verdaut es Proteine.

Aktivität Pepsin

Pepsin ist bei einem niedrigen pH-Wert von bis zu 2,5 am aktivsten. Ab da nimmt seine Aktivität mit steigendem pH-Wert langsam ab. Desto weniger Säure, desto weniger aktiv wird Pepsin. Bei pH 4 sinkt die Aktivität auf weniger als 60%, bei pH 6 liegt sie bei etwa 10%. Bei einem pH-Wert von 6,5 wird Pepsin komplett inaktiv.2

Wie sehr Pepsin bei Stillem Reflux Entzündungen hervorruft, ist also abhängig davon, wie sauer das Umfeld ist, in dem es sich befindet. Im folgenden Diagramm wird das pH-abhängige Schadpotential von Pepsin deutlich.

Reaktivierung von Pepsin bei Stillem Reflux durch Säure

Außerhalb des Magens ist der pH-Wert so hoch, dass Pepsin normalerweise inaktiv sein sollte. Der pH-Wert des Rachens und der Atemwege liegt in der Regel über dem Wert 6,5, ab welchem Pepsin inaktiv wird. Der Kehlkopf hat einen natürlichen pH-Wert von etwa 6,8.3

Dennoch kann selbst nachdem das Enzym bereits inaktiv war, Pepsin wieder reaktiviert werden. Das passiert dann, wenn durch Säurezufuhr der pH-Wert in der Umgebung wieder fällt.4

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie es zu einem niedrigen pH-Wert im Rachen und in den Atemwegen kommt:

  1. Durch den sauren Reflux selbst. Jedes neue Refluxereignis bringt neure Säure in die Atemwege und lässt den pH-Wert abfallen. Obwohl die Säure selbst keine große direkte Gefahr für die Schleimhäute darstellt, sorgt sie dafür, dass Pepsin aktiviert wird.
  2. Durch säurehaltige Lebensmittel und Getränke. Aus diesem Grund ist die Vermeidung saurer Lebensmittel während einer Stiller Reflux Diät sinnvoll, um die Reaktivierung von Pepsin zu vermeiden.

Reaktivierung von Pepsin in den tieferen Schleimhautschichten

Neben der Reaktivierung durch sauren Reflux und säurehaltige Nahrungsmittel gibt es einen weiteren Mechanismus, durch den Pepsin wieder aktiv werden kann.

Anfangs nahm man nur an, Pepsin würde in erster Linie auf den Zellen sitzen und dort Schaden anrichten. Jedoch weiß man mittlerweile, dass Pepsin zusätzlich auch in die Schleimhautzellen aufgenommen wird.

Innerhalb der Zellen ist der pH-Wert etwas niedriger und somit ausreichend niedrig, dass Pepsin zumindest in geringem Maße aktiviert werden kann.5 So kann Pepsin die Schleimhautzellen von innen Schädigen.

Das ist vermutlich der Grund, warum eine Therapie bestehend aus magensäurereduzierenden Medikamenten und Vermeidung aller sauren Lebensmittel die Symptome zwar oft stark reduziert, aber in der Regel nicht komplett beseitigt. Stattdessen muss der Stille Reflux selbst reduziert oder beseitigt werden, damit kein weiteres Pepsin in die Atemwege gelangen kann.

Welche Lebensmittel sind sauer?

Der Säuregrad wird normalerweise durch den pH-Wert definiert. Um die Reaktivierung von Pepsin zu minimieren, sollten Personen mit Stillem Reflux alles vermeiden, was einen pH-Wert von weniger als 5 aufweist.

Leider gibt es einige Missverständnisse über den Säuregehalt von Lebensmitteln. Lebensmittel können im Verdauungsprozess Säuren oder Basen bilden und werden daher manchmal als alkalische oder saure Lebensmittel bezeichnet. Dies hat jedoch nichts mit dem tatsächlichen pH-Wert der Nahrung vor der Verdauung, also während sie den Rachen passiert, zu tun. Zitronen zum Beispiel haben einen niedrigen pH-Wert, werden aber von einigen alternativmedizinischen Quellen als alkalisch dargestellt.

Dauerhafte Deaktivierung von Pepsin durch hohen pH-Wert

Ich werde manchmal von Lesern gefragt, ob Pepsin nun für immer in ihren Atemwegen festhängt, weil sie mal Stillen Reflux hatten.

Das ist zum Glück nicht der Fall.

Die Schleimhäute unserer Atemwege bilden ständig neue Zellen, wobei die obersten Zellschichten abgestoßen werden. Die abgestoßenen Zellen werden verschluckt und landen wieder im Magen. Wie lange genau es nun dauert, bis Pepsin nach dem kompletten Stopp jeglichen Refluxes aus den Atemwegen verschwindet, ist schwer zu sagen. Professor Peter Dettmar, ein Experte für Pepsin, vermutet, dass es sich um wenige Tage, oder Wochen handeln könnte, bis Pepsin so wieder aus den Atemwegen verschwindet. Auf jeden Fall bleibt es aber nicht für Monate, oder gar für immer dort.

Man könnte Pepsin bereits zuvor endgültig deaktivieren: mit einem pH-Wert über 8.6

Allerdings haben unsere Atemwege in der Regel keinen so hohen pH-Wert. Zusätzlich haben fast alle Nahrungsmittel und Getränke, die den Rachen passieren, entweder einen sauren oder neutralen pH-Wert (7 und darunter).

Eine Möglichkeit, den pH-Wert im Rachen und in den Atemwegen zu erhöhen, ist das Trinken von alkalischem Wasser. Dabei handelt es sich um Wasser mit einem hohen pH-Wert.

Alkalisches Wasser kann mit Speisenatron oder mithilfe von speziellen Wasserfiltern zubereitet werden. Filter sind zu präferieren, da die Verwendung von Speisenatron zur Aufnahme von zu hohen Mengen an Natrium führt. Zur Verwendung bei akuten Symptomen, wenn gerade nichts anderes zur Verfügung steht, sehe ich aber kein Problem, sofern du keine Probleme mit Bluthochdruck hast. Ich empfehle, das Wasser in jedem Fall mit Lackmuspapier oder pH-Teststreifen aus der Drogerie zu testen. Nicht jeder pH-Filter hat einen ausreichend hohen pH-Wert, selbst wenn er als alkalisch oder basisch angepriesen wird. Der pH-Wert sollte über 8 liegen.

Auch die Verwendung eines alkalischen Nasensprays kann helfen, um auch die Nase zu erreichen. Emser Nasenspray (erhältlich in der Apotheke) ist aufgrund der enthaltenen Salze alkalisch. Gleiches gilt für die Nasendusche mithilfe Emser Salze. Ich persönlich bevorzuge das Spray, da es leicht mehrmals am Tag zu verwenden ist. Atme bei der Anwendung ein, damit das Spray möglichst weit in den Hals gelangt.

Eine erfolgreiche Stiller Reflux Behandlung darf Pepsin nicht ignorieren

Das wichtigste Ziel bei Stillem Reflux ist, den Reflux selbst zu beseitigen. Das Thema Pepsin sollte einen davon nicht ablenken. Ist der Reflux abgestellt, so löst sich auch das Problem Pepsin von selbst, da das Magenenzym nicht mehr in die Atemwege gelangt und dort somit keinerlei Schaden mehr anrichten kann. Zudem kann man mit Hilfsmitteln, wie alkalischen Spray, nur kurzfristig die bereits refluxten Pepsine deaktivieren. Es kommt ständig neues Pepsin nach. Zuletzt kann man nur Hals und Nase mit solchen Hilfsmitteln gut erreichen. Lunge, Nasennebenhöhlen und Kehlkopf jedoch kaum.

Trotzdem sollte man das Thema Pepsin nicht komplett ignorieren.

Warum?

Es dauert seine Zeit, den Reflux zu beseitigen. Meiner Erfahrung nach funktioniert eine Umstellung der Ernährung und Verhaltensweisen nicht von heute auf morgen. Die Reaktivierung von Pepsin zu vermeiden und mit hohem pH aktiv Pepsin zu deaktivieren ist dagegen einfacher und schneller. Vielen Leuten reichen die Ergebnisse dadurch sogar bereits. Bei leichteren Stiller Reflux Symptomen kann die Vermeidung der Reaktivierung von Pepsin bereits reichen, um die Symptome komplett zu eliminieren.

Zwei Ansätze sind also bei der Behandlung von Stillem Reflux essentiell, um die schnellste Reduzierung der Symptome zu bekommen:

1) Den Reflux so weit wie möglich reduzieren, um die Menge an Pepsin, welches den Rachen und die Atemwege erreicht, zu minimieren.

2) Die Reaktivierung von Pepsin in den Atemwegen so weit wie möglich vermeiden.

Eine Ernährungsumstellung hilft bei beidem, weshalb sie bei Stillen Reflux Symptomen so effektiv ist.7 In meinem Online-Kurs zur Behandlung von Stillem Reflux, dem Stiller Reflux Protokoll, erfährst du genau, wie du deinen Stillen Reflux mit Ernährungsmaßnahmen unter Kontrolle bekommst.

Stiller Reflux Onlinetest RSI


Quellen

1. Fruton JS. A History Of Pepsin And Related Enzymes. The Quarterly Review of Biology. 2002;77(2):127-147. doi:10.1086/340729

2. Johnston N, Dettmar PW, Bishwokarma B, Lively MO, Koufman JA. Activity/Stability of Human Pepsin: Implications for Reflux Attributed Laryngeal Disease. The Laryngoscope. 2007;117(6):1036-1039. doi:10.1097/MLG.0b013e31804154c3

3. Campagnolo A, Priston J, Thoen R, Medeiros T, Assunção A. Laryngopharyngeal Reflux: Diagnosis, Treatment, and Latest Research. International Archives of Otorhinolaryngology. 2013;18(02):184-191. doi:10.1055/s-0033-1352504

4. Koufman JA. The Otolaryngologic Manifestations of Gastroesophageal Reflux Disease (GERD): A Clinical Investigation of 225 Patients Using Ambulatory 24-Hour pH Monitoring and an Experimental Investigation of the Role of Acid and Pepsin in the Development of Laryngeal. The Laryngoscope. 1991;101:1-78. doi:10.1002/lary.1991.101.s53.1

5. Johnston N, Wells CW, Blumin JH, Toohill RJ, Merati AL. Receptor-Mediated Uptake of Pepsin by Laryngeal Epithelial Cells. Annals of Otology, Rhinology & Laryngology. 2007;116(12):934-938. doi:10.1177/000348940711601211

6. Koufman JA, Johnston N. Potential Benefits of pH 8.8 Alkaline Drinking Water as an Adjunct in the Treatment of Reflux Disease. Annals of Otology, Rhinology & Laryngology. 2012;121(7):431-434. doi:10.1177/000348941212100702

7. Koufman JA. Low-Acid Diet for Recalcitrant Laryngopharyngeal Reflux: Therapeutic Benefits and Their Implications. Annals of Otology, Rhinology & Laryngology. 2011;120(5):281-287. doi:10.1177/000348941112000501

Über den Autor

Gerrit Sonnabend

Gerrits Sonnabends beruflicher Hintergrund ist in der qualitativen Forschung und Data-Science. Er hatte selbst starken Reflux. Hier kannst du mehr zu Gerrit erfahren.